Format Musik, Format Mensch.
Eine Postpostpost Reflexion zum Lichteneggerschen Sager und dessen Folgen.
Das Gesagte ist Meinung und Haltung. Ich begrüße die Authentizität in diesem Interview – ein grosses Fass möchte aufgemacht werden.
Ö3 spielt Hits. Mit starkem Backbeat, ausgeprägter Tonika und vielen mittelhohen Tempi, knapp über dem Puls. Der Text im Refrain ist in einer einzigen Phrase zu fassen, oder lässt sich als textunabhängige Melodie über Vokale singen. In der Summe erklingt alle zwei Sekunden ein vorstehender Schlag (Snare), wird das Ohr gegengleich vom Grundton beruhigt und aber der Herzschlag leicht von vier zügigen Vierteln gehoben. Die lyrische Hauptphrase erzählt uns, was wir hören wollen, oder a-e-i-o-u. Das ist die beste Musik. Das ist Hitradio. Hits lenken nicht ab. Hits lassen uns mitsummen, aber doch weghören. Die Tonika setzt den Hörer in einen festen tonalen Stuhl, während das erhöhte Tempo den inneren Rhythmus unbemerkt antreibt. Mensch fühlt sich gehalten und aktiviert. Der schwere Arbeitsalltag wird versüßt und der Workingclass Hero in seiner Funktion gestärkt.
Im Formatradio geht es darum den Lebensgrundsatz „Wer viel arbeitet ist gut“ hoch zu halten. Eine Reise ins täglich Unbewusste zur Leistungsverbesserung. Ö3 schafft gemeinsam mit seiner privaten Konkurrenz ein Zombieheer im Dienst der Wirtschaft. Heilig, das Wachstum. Verdammt, seine Kritiker. Der Roboter singt dem Menschen vor, wie er sich zu verhalten hat. Zielgerichtet, attraktiv und effektiv, reflektiert,.. Der Gedanke darf nie abschweifen. Wir brauchen Stress. Stress! Stress!!! Wir brauchen dringendst Verkehrsmeldungen in zackigen Pads und schnellst gesprochene, tragische News mit Gruselbudget und ein paar sehr bösen Individuen dazu. Anregen und euphorisieren. Bad News are Good News. Die Einheitsmusik moderiert zur Effizienzmaximierung. Obacht, das ist eine Collage an Alarmsignalen, sagt der akustische Urahne. Wir marodieren stumpfen Ohres und hören ihn nicht. Der Mensch wird zur Maschine formatiert. Das ist die beste Musik. Das ist Hitradio.
Technisch ist Ö3 großartig. Kein österreichischen Tunnel, in dem Ö3 nicht senden kann (oft als einziger Sender). Die Lautstärke ist legendär. Sein Pegel ist international vorbildlich. Die Verflechtung der Superhits in den Ton der Sprecherstimmen zielführend. Ö3 erfüllt. Sehr brav. Wegsehen und weitergehen. Nein, weiterfahren. Der ordentliche Ö3 Hörer staut sich in der Drive Time über die Wiener Tangente oder die Westautobahn und hört die Charts, die er später kaufen möchte.
***News*** Das ist Formatradio: Technisch perfekt beschallt sein, inhaltlich überhören und dazu das machen, was wir jeden Tag nicht machen wollen.
Den Job. Aber der muss gemacht werden, weil er gemacht werden muss. Der Selbstbetrug kennt keine Grenzen. Der ordentliche Hit schon. Die Landesgrenze. Österreich ist zwar klein, aber hoch divers. Unüberwindbare Berge und ein großer Fluss. Mensch und Wort werden im Tal konserviert und von der Donau bewegt. Das zusammen beschert dem kleinen Alpenland viele unterschieldiche Dialekte und wertvolle innersprachliche Vielfalt. Die unterschätzt hohe Ausbildungsqualität der künstlerischen Institutionen, die sich noch aus dem interkulturell wesentlichen belebteren 19.Jahrhundert nährt und die im Stand ist diesen Schwung weiterzuführen, komplimentiert dieses sehr differenziert schaffende Ganze leicht in die Gegenwart. Die kreative Szene im Gesamten und mit ihr die musikalische Szene im Speziellen sind reich und kräftig in der Fascette. Vergleichbar einem starken Motor. Der aber schwach eingekoppelt stets am Schleifpunkt reibt und kaum Meter macht.
Warum? Hier könnte man jetzt ein Buch einfügen oder eben im Punkt Ö3 anmerken, dass eine bunte Szene für diesen nicht handhabbar ist. Lieder in Uniform funktionieren. Alles andere ist, zu Lasten der heterogenen Musiklandschaft, schwierig. Das Format heißt Hitradio und kommt meist nicht aus Österreich. Neubieder, ungefährlich und in internationalem Hitgrau versteckt klingt es wie ein (mein gerne zitierter) SUV im Freitagabendstau. Finden alle scheiße. Mag keiner. Kennen aber alle. Und was man kennt ist man gewohnt. Und mit dem Gewohnten hat man sich arrangiert. Hitradio ist eben klingende Wirtschaftsgewalt. Und mit der haben wir uns auch anderwärtig arrangiert.
Ö3 hat die Hosen voll. Die Privaten machen Angst. Ö3 lässt sich von seinen Werbepartnern nötigen und verkauft für eine falsche Internationalität großzügig Tantiemen außer Haus. Trotz aller Anbiederung ans Mittelmaß ist er doch nach wie vor öffentlich rechtlich. ***News*** Wahlslogan: Musikmotor einkoppeln! Quote im öffentlich rechtlichen Rundfunk! 1/3 los gehts! Mehr Klangfarbe für das Volk! Vielfalt ist geil! Oder so ähnlich. Der Prozess und sein Erfolg werden länger dauern. Eine ganze Welt an Notwendigem gibt es zu entdecken. Aber beginnen muss man irgendwann. Jetzt. Demokratie heißt nicht, dass die Macht vom Werbepartner ausgeht. 120 bpm, 440Hz und 3:30 Singlelänge sind kein Inhalt der Verfassung. Dieses Joch haben wir uns selbst auferlegt. Wir dürfen es auch selbst wieder ablegen.